(Artikel vom 02.07.2024) Ausgelassen feiern - wenn nicht zur Fußball-Europameisterschaft (EM) im eigenen Land, wann denn dann? Besonders beliebt in den Spielstätten sind Autos, die durch das ganze Stadtgebiet hintereinander herfahren, wobei Fahnen geschwenkt und die Hupe gedrückt wird, was das Zeug hält. Aber ist ein Konvoi überhaupt erlaubt? ARAG Experten Tobias Klingelhöfer erklärt die Spielregeln auf der Straße und ordnet die rollende Feierlaune rechtlich ein.
Wir erinnern uns an 2014, als wir Weltmeister wurden. In den Innenstädten gab es lauter Autokorsos mit jubelnden Insassen. Sind die überhaupt erlaubt?
Tobias Klingelhöfer: Die Frage kann man mit einem ganz klaren "Jein" beantworten. Denn eigentlich benötigt man für Autokorsos eine Erlaubnis der Straßenbehörde, weil die als sogenannte "Sondernutzung des Straßenraums" eingestuft werden. Aber wie wir natürlich alle wissen, entstehen diese Kolonnen-Fahrten spontan aus der Jubellaune heraus. Und dafür hält die Straßenverkehrsordnung eine Eilfallregelung bereit (Paragraf 44, Absatz 2), die der Polizei einen Ermessenspielraum einräumt. Daher können Autokorsos erlaubt sein und werden es erfahrungsgemäß ja auch.
Die üblichen Verkehrsregeln gelten aber auch bei Autokorsos oder gibt es Ausnahmen?
Tobias Klingelhöfer: Die üblichen Verkehrsregeln gelten natürlich auch für Autokonvois. Das heißt konkret, dass keine roten Ampeln überfahren werden dürfen, die Fahrer müssen sich an die vorgegebene Geschwindigkeit halten und es gelten die üblichen Promille-Grenzen - die liegen bei 0,5 und für Fahranfänger bei 0,0 Promille Alkohol im Blut. Doch Vorsicht: Schon ab 0,3 Promille muss man mit einer Strafe und Führerscheinentzug rechnen, wenn es alkoholbedingt zu Ausfallerscheinungen oder einem Unfall kommt. Und bei mehr als 0,5 Promille sind auch ohne Unfall ein Bußgeld, Punkte in Flensburg und ein Fahrverbot fällig.
Die Regeln gehen aber weiter: Alle Schilder, auch Stoppschilder, müssen während des Korsos beachtet werden. Die Anschnallpflicht gilt ebenfalls uneingeschränkt für alle Insassen des Fahrzeugs; und selbstverständlich dürfen nur so viele Personen im Auto sitzen, wie es Plätze mit Gurten gibt. Wird ein Mitfahrer bei einem Auffahrunfall verletzt, weil er nicht angeschnallt war, kann dies für ihn als Mitschuld gewertet werden. Für die Folgen haftet er dann unter Umständen selbst.
Häufig sieht man bei Autokorsos auch Menschen im Fensterrahmen des Autos oder auf der Motorhaube sitzen. Was gilt hierbei?
Tobias Klingelhöfer: Es ist absolut tabu, während der Fahrt auf den Fensterrahmen, die Motorhaube oder das Autodach zu klettern oder in einem Cabrio während der Fahrt zu stehen. Schon das Herauslehnen mit dem Oberkörper aus dem Fenster des Fahrzeugs, um z. B. die Fahne besser schwenken zu können, ist eigentlich nicht erlaubt. Auch hier muss man damit rechnen, dass die Ordnungshüter einschreiten.
Apropos Fahne: Was gilt für sie während eines Autokorsos?
Tobias Klingelhöfer: Flagge zeigen gehört auf solchen Sportevents wie der Fußball-EM natürlich dazu. Auch in und auf Fahrzeugen. Doch der Fahrer darf während der Fahrt nicht durch das Tuch beeinträchtigt werden. Dazu heißt es in der Straßenverkehrsordnung (Paragraf 23), dass Sicht und Gehör des Fahrers nicht durch die Mitfahrer beeinträchtigt werden dürfen. Sollten die Mitfahrer vor Begeisterung so in Rage geraten, dass ein sicheres Fahren unmöglich ist, bleibt nichts anderes, als den Korso zu verlassen und die Fahrt zu beenden. Fahrzeuge dürfen samt Fahne nicht breiter als 2,55 Meter sein und nicht länger als drei Meter. Das bedeutet, dass Fahnen, die hinter dem Fahrzeug her flattern mit einem zusätzlichen hellroten Wimpel oder Fähnchen versehen werden müssen, sobald sie mehr als einen Meter über die Rücklichter hinausreichen. Ragen sie seitlich mehr als 40 Zentimeter über das Fahrzeug hinaus, müssen sie nachts theoretisch mit einer Beleuchtung versehen werden, wie man es von überbreiten Fahrzeugen kennt.
Was gilt für Fahrzeugschmuck am Fahrzeug? Erlaubt oder verboten?
Tobias Klingelhöfer: Wer während der EM am Auto Flagge zeigt, haftet für den Fall, dass die Fahne abbricht oder durch falsche Befestigung beim Folgefahrzeug Schäden verursacht, denn der Auto-Schmuck hat keine TÜV-Zulassung. Wer seine Motorhaube mit einer Flagge ziert, sollte sie für den Autokorso gut befestigen, aber am besten für längere Fahrten, vor allem vor Autobahnfahrten, ganz entfernen. Das Material ist für derartige Belastungen nicht ausgelegt und es kann wirklich großen Ärger geben, wenn dadurch ein Unfall passiert.
Das gilt übrigens auch für das Anbringen eines Plastikhalters von Fahnen im Fensterspalt. Die können sich nicht nur leicht während der Fahrt lösen, sondern die Halter erhöhen zudem das Risiko eines Einbruchs. Und die Autoversicherung muss bei einem Einbruch durch das beflaggte Autofenster den Schaden unter Umständen nicht regulieren.
Ist die Sicht durch die Lieblingsfahne im Heckfenster eingeschränkt, kann man sich zwar vorübergehend mit dem Blick in die Außenspiegel behelfen. Nach dem Autokorso sollte man das Tuch aber auch von dort wieder rasch entfernen. Bei Frontscheibendekorationen wie Aufklebern oder Wimpeln stehen Halter und Fahrer in der Pflicht, für eine ungehinderte Sicht zu sorgen.
Sie sagten eben, "Sicht und Gehör" des Fahrers dürften nicht eingeschränkt werden. Wie ist dann ein Hupkonzert während eines Autokorsos rechtlich zu bewerten?
Tobias Klingelhöfer: Grundlos auf die Hupe zu drücken ist grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit. Geht es aber ansonsten gesittet zu, ist es durchaus möglich, dass die Polizei nach einem Sieg bei einem Hupkonzert Milde walten lässt, wie es ja auch schon 2014 der Fall war. Dennoch rate ich auch hier, den Bogen nicht zu überspannen und vor allem in Wohngebieten und zu später Stunde auf die Hupe zu verzichten. Aber da Deutschland ja am Freitag gegen Spanien schon um 18 Uhr spielt, sollte die Uhrzeit für ein Hupkonzert im Falle eines Sieges der deutschen Mannschaft in Ordnung gehen.
Darf ich eine Dashcam nutzen, um mögliche Schäden an meinem Auto zu dokumentieren?
Tobias Klingelhöfer: Dazu gibt es sogar ein richtungsweisendes Urteil aus 2017: Damals hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Video einer Dashcam als Beweismaterial zugelassen. Das Urteil bedeutet aber nicht, dass alle Videoaufzeichnungen der kleinen Kameras bei Gerichtsverhandlungen zugelassen werden müssen. Das permanente Filmen des Verkehrsgeschehens bleibt verboten, weil es gegen das Datenschutzrecht verstößt. Daher rate ich zu Geräten, die die Aufnahmen immer wieder überschreiben und löschen. Speichern sollte man bei einem Unfall nur die relevanten Passagen. Gute Kameras nehmen bei einer Vollbremsung die Erschütterung wahr und speichern die entsprechende Filmsequenz sogar automatisch. Die Richter müssen in jedem Einzelfall abwägen zwischen Aufklärungsinteresse, Schutz von Persönlichkeitsrechten, wie z. B. dem Recht am eigenen Bild, und informationeller Selbstbestimmung.
Um welches Urteil geht es genau?
Tobias Klingelhöfer: Im konkreten Fall, der zu diesem Umschwenken in der Rechtsprechung geführt hat, konnten die beauftragte Sachverständige den Unfallhergang nicht aufklären. Auch Zeugenaussagen brachten keine weiteren Hinweise über den Unfallverursacher. Dem Kläger wurde daraufhin die Hälfte des Gesamtschadens als Schadensersatz zugesprochen. Dieser wollte jedoch weitere 1.330 Euro erstreiten und verlangte, auch die Videoaufnahmen seiner Dashcam als Beweismittel zugelassen werden. Auf dem Video sieht man genau, wie die zwei Autos auf der Linksabbiegerspur zusammenstoßen. Die ersten beiden Instanzen - das Amtsgericht als auch das Landgericht Magdeburg - lehnten aber ab. Ihr Argument: Durch die dauerhafte Videoaufzeichnung sei das Persönlichkeitsrecht des Unfallgegners betroffen. Und das überwiege in diesem Fall - auch, weil der Schaden relativ gering sei. Die Richter des BGH waren allerdings anderer Ansicht: Die Aufnahmen verstoßen zwar gegen das Datenschutzrecht. Da aber Unfallbeteiligte ohnehin Angaben zu Person, Versicherung und Führerschein machen müssten, sei dies nachrangig. Die Aufzeichnungen seien deshalb als Beweismittel verwertbar. Die vorinstanzlichen Urteile wurden somit kassiert und der Fall wurde an das Landgericht zurückverwiesen (Az.: VI ZR 233/17).
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